Die Anzahl von Artikeln und Fachliteratur zu meinem Lieblingsthema, welche Prinzipien und Ansätze des Spitzensports auch für die Business-Welt von Bedeutung sein können, nimmt stetig zu. Zu den fünf im Jahr 2019 meist gelesenen Texten des Manager Magazins gehörte z.B. “Die Magie des Motivators” vom Autor Christoph Neßhöver: Ein Porträt über den Fußball-Trainer Jürgen Klopp und seine erfolgreiche Arbeit beim FC Liverpool. Denn schließlich “könnten auch Führungskräfte von seinem Führungsstil profitieren”. Ähnliche Artikel findet man seit Jahren über bekannte “Vorbilder” aus Sport, Wirtschaft und Gesellschaft.
Inhaltlich stimme ich diesen teilweise toll geschriebenen Ausführungen so lange zu, bis der entscheidende Satz kommt: “…und das können Sie von XY lernen“. Dieses “machen Sie es wie XY und Sie werden erfolgreicher führen” ist eine zu vereinfachte und daher leider fast schon gefährliche Empfehlung, Sie wird früher oder später zu Enttäuschungen beim Adressaten/-in führen.
Aber wo sollten Sie beginnen, um sich als Führungskraft inhaltlich weiter zu bilden und von Branchengrößen zu profitieren?
Die Ratgeber-Literatur wird immer unübersichtlicher. Stilrichtungen wie transaktional, partizipativ, einladend, transformational, “servant” oder “authentic” verschleiern den Blick, worauf es im Grunde ankommt: Selbst zu erkennen, was zu Ihnen in dieser Position mit jenem Team passt. Beginnen Sie also nicht bei irgendwelchen Stilen und Charakter-Checklisten (Charisma und Authentizität sind seit Jahren hoch im Kurs!), sondern beginnen Sie bei Ihrer Denkweise und einer Idee, wie Sie Erfolg wahrscheinlich machen wollen. Denn Stile sind hochgradig individuell, weil sie von der Persönlichkeit und dem jeweiligen Kontext abhängig sind. Oder haben Sie schonmal versucht, einen bestimmten Malstil eines Künstlers zu kopieren? Sie wissen was ich meine.
Um nicht fasch verstanden zu werden. Ich bin ein großer “Fan” Jürgen Klopps und seiner Art Fußball spielen zu lassen, Interviews zu geben und Dinge auf den Punkt zu bringen. Doch kopieren lassen sich seine und andere Stile eben nicht. Im Gegenteil. Wenn Sie ab nächster Woche im Office “einen auf Klopp machen” und alle Mitarbeitenden erstmal in den Arm nehmen (“habe ich mir doch gut gemeint abgeschaut bei ihm”), wird dies wahrscheinlich eher mit einem fragwürdigen Stirnrunzeln und unglaubwürdigen Blicken abgetan. Weil es ebenso so gar nicht zu Ihnen und Ihrem bisherigen Tun zu passen scheint.
Erfolgreiche Trainer/ Führungskräfte sind allesamt große (altersunabhängige!) Talente in der täglichen Arbeit mit Menschen. Dies wohl stets mit der passenden Mischung aus Fachwissen und Gefühl, was in den jeweiligen Situationen „im Alltagsdruck“ hilfreich sein könnte.
Weg also vom Kopieren von Stilen, hin zum eigenen Denk- und Handwerkszeug
Was könnte stattdessen helfen, wenn ich Ihnen Stil- und Vorbildenken jetzt schon madig mache?
Zunächst hilft hier ein Blick auf das eigene Führungsverständnis. Wie verstehen Sie (Team-) Führung überhaupt? Was sind die Sie leitenden Überzeugungen und Glaubenssätze? Leitfragen hier sind u.a., was Sie generell in Menschen sehen und wie Sie deren Beitrag zum Gelingen von Wertschöpfung einschätzen. Die Haltung zu Mitarbeitenden und was ihnen zugetraut wird, zeigt sich ganz wunderbar bei Fragen rund um die Themen Verantwortungsübernahme und Entscheidungsfindung. Auch die Frage der Installation eines Feedback-Systems gehört beantwortet. Wenn Ihnen stetige Weiterentwicklung Ihrer Mitarbeitenden und (Selbst-)Reflexion am Herzen liegen kommen Sie an einer gelebten Feedback-Kultur nicht vorbei. Wie (in-)formell diese umgesetzt wird um Wirkung zu erzeugen, bedarf weiteren Gespürs und persönlicher Überzeugungen.
Trainer im Teamsport jedenfalls verstehen und lernen sehr früh, dass Entscheidungen auf dem Spielfeld allein von den Spielern/ -innen getroffen werden können. Diese also bestmöglich mit Entscheidungskompetenzen und dem entsprechenden Rüstzeug an Skills auszustatten ist eine der primären Trainer- bzw. Führungsaufgaben. Mit einem bestimmten Stil hat das erstmal nichts zu tun. Hier geht es einzig und allein um die Frage, in welchem gesetzten Rahmen erfolgreiche Zusammenarbeit überhaupt stattfinden soll und wer welchen (eigenständigen) Beitrag dazu liefert.
Des Weiteren macht es Sinn, sich seine eigene Führungsrolle bewusst zu machen. Nicht alle Führungspositionen bringen die gleichen Aufgaben mit, nicht alle Menschen verfügen über die gleichen sozialen Kompetenzen und Ausprägungen. Als z.B. Vorstands-Assistenz/-in sind Sie Führungskraft qua Position, haben im funktionalen Gerüst des Vorstands aber eigene und andere Aufgaben gegenüber den Mitarbeitenden als der Vorstand selbst. Genau wie der Co-Trainer im Sport auch “führt”, in seiner Rolle jedoch klar andere Aufgaben wahrzunehmen und Blickwinkel einzunehmen hat als der Cheftrainer. Sozial-dynamisch bringen beide Rollen völlig unterschiedliche Ausprägungen mit, obwohl oder gerade weil sie im Organigramm womöglich nur eine Box voneinander entfernt stehen.
Ein einfaches Mittel, um heraus zu finden, ob Sie sich dem “Klopp von morgen” annähern oder doch eher auf dem Führungs-Holzweg sind, ist die tägliche Resonanz Ihrer Mitarbeitenden. Finden Ihre Worte Anklang? Folgen Ihnen Menschen auch in unklaren Situationen und bestenfalls freiwillig? Müssen Sie sich für alles erklären oder herrscht Ihnen gegenüber ein Vertrauens-Vorschuss aufgrund Ihrer Klarheit und Kompetenz, auch neue Sachverhalte überlegt anzugehen? Dies sind nur eine paar Fragen für den täglichen Schnell-Check, während Sie sukzessive am größeren Rahmen der Zusammenarbeit arbeiten und Ihr Rollenbild schärfen können.
Bestes Gelingen auf dem Weg vom Stil-Kopierer zum bewussten Ausprobierer!
Die Biographie Jürgen Klopps und anderer Größen des Business soll getrost zwecks Inspiration weiter auf Ihrem Nachttisch liegen und gelesen werden. Auf meinem liegt aktuell Herr Pep Guardiola :-).